02. April: Welt-Autismus-Tag
Jeder Tag ist jetzt wie ein Sonntag
Kommunikation mit der Außenwelt ist für Autisten oft wie der Mount Everest, den ein Fisch mit Flipflops zu erklimmen versucht. In Zeiten von Corona fühlen sich viele Betroffene so, als sei jeder Tag ein Sonntag. So geht es auch den den Drillingen Christian, Erik und Sören.
Text: Mirja Ibsen – veröffentlicht am 02.04.2020 in der Heinsberger Zeitung
Gebe es kein Corona, dann hätte heute, am 2. April, ein schlaksiger, blonder junger Mann im Haus Lennartz erzählt, wie es ist, ein Autist zu sein. Julian Leske kann das nämlich gut. Unterhaltsam und überraschend selbstironisch seien seine Vorträge, liest man hinterher in begeisterten Zeitungskritiken.
Christian, Erik und Sören können das nicht. Die Drillinge sind auch Autisten, aber im großen Potpourri des Autismus-Spektrums haben sie eine Variante der neurologischen Störung, bei der die Kommunikation mit der Außenwelt der Mount Everest ist, den ein Fisch mit Flipflops zu erklimmen versucht. Christian und Sören können nicht sprechen, Erik kann es nur ein wenig. Sein aktiver Wortschatz ist klein. Die Feinheiten und Zwischentöne der Sprache, mit denen Julian Leske so amüsant davon erzählt, wie er als Kind Seile um Tür- und Fensterklinken wickelte, um sie zu sichern, fehlt ihm.
Die drei können auch nicht erklären, warum jetzt in Zeiten von Corona für sie jeder Tag ein wenig wie Sonntag ist. Es ist so angenehm wenig los auf den Straßen. Sie können es nämlich nicht gut vertragen, wenn es zu laut, zu hektisch, zu schnell ist. Ihre Antennen sind immer auf Empfang geschaltet. Jeder Reiz erreicht sie. Manchmal ist es ihnen einfach zu viel.
Etwas war anders…
Dass etwas anders ist mit „ihren Jungs“, haben die Meiers gemerkt, als die drei ungefähr anderthalb Jahre alt waren. Schon ihr Start iDie drei können auch nicht erklären, warum jetzt in Zeiten von Corona für sie jeder Tag ein wenig wie Sonntag ist. Es ist so angenehm wenig los auf den Straßen. Sie können es nämlich nicht gut vertragen, wenn es zu laut, zu hektisch, zu schnell ist. Ihre Antennen sind immer auf Empfang geschaltet. Jeder Reiz erreicht sie. Manchmal ist es ihnen einfach zu viel.
Etwas war anders…
Dass etwas anders ist mit „ihren Jungs“, haben die Meiers gemerkt, als die drei ungefähr anderthalb Jahre alt waren. Schon ihr Start ins Leben war nicht einfach. Das letzte Drittel der Schwangerschaft verbrachte Ulrike Meier meist liegend im Krankenhaus. Risikoschwangerschaft. Kaiserschnitt. Sehen konnte sie ihre Jungs erst, als sie fünf Tage alt waren, weil sie selbst hohes Fieber bekam. „Die Jungs haben von Anfang an Probleme gehabt“, erzählt sie. Sie tranken nicht gut, entwickelten sich langsam, schrien viel. Als ihre Eltern sie in diesem Sommerurlaub Anfang der 90er Jahre am Strand beobachteten und ihr Spiel mit dem der anderen Kinder verglichen, sahen sie es. Die drei befühlten und berochen alles intensiv. Das war kreativ, aber nicht regelkonform.ns Leben war nicht einfach. Das letzte Drittel der Schwangerschaft verbrachte Ulrike Meier meist liegend im Krankenhaus. Risikoschwangerschaft. Kaiserschnitt. Sehen konnte sie ihre Jungs erst, als sie fünf Tage alt waren, weil sie selbst hohes Fieber bekam. „Die Jungs haben von Anfang an Probleme gehabt“, erzählt sie. Sie tranken nicht gut, entwickelten sich langsam, schrien viel. Als ihre Eltern sie in diesem Sommerurlaub Anfang der 90er Jahre am Strand beobachteten und ihr Spiel mit dem der anderen Kinder verglichen, sahen sie es. Die drei befühlten und berochen alles intensiv. Das war kreativ, aber nicht regelkonform.
Ulrike Meier ist gelernte Krankenschwester. Zu ihrer Ausbildung gehörte es, alle Stationen des Krankenhauses kennenzulernen. Auch die psychiatrische. Sie hatte Vorurteile, was den Autismus betraf, sagt sie ganz ehrlich. Autisten haben kein Interesse am Gegenüber, dachte sie. Autisten können nichts selbstständig, dachte sie. Nicht allein essen, sich nicht anziehen, sich nicht äußern. Heute sagt sie: „Das stimmt nicht.“
Was sie aber am meisten schreckte, war der Umgang mit nicht sprechenden Autisten, die Überforderung, die sie erlebte.
Der Weg, den ihre drei Jungs gingen, war steinig. „Unsere Kinder sind geboren in einer Zeit, in der man wenig über Autismus wusste“, erzählt die 59-Jährige. Etwas später wurde das Asperger-Syndrom bekannt, und der Film „Rain Man“ mit Dustin Hoffman lief im Fernsehen. „Wenn ich dann sagte, meine Kinder sind Autisten, fragten die Menschen: Toll, was können sie denn?“
Heute sind Erik, Christian und Sören 31 Jahre alt, und ihre Mutter ist Expertin in Sachen Autismus. Sie las alles, was sie zum Thema fand, sie machte eine Ausbildung zur Kommunikationspädagogin, sie engagierte sich ehrenamtlich, auch im Vorstand von Autismus Deutschland. Heute weiß sie, warum ihre Jungs immer auffälliger, immer aggressiver wurden, sich selbst und anderen gegenüber. Was fehlte, war die individuelle Förderung. Sören und Christian hatten in dem anthroposophischen Internat am Bodensee, wo sie nach der Kindergartenzeit in einer familienähnlichen Gemeinschaft mit Sonderpädagogen und Sozialtherapeuten lebten, keine geeignete Alternative zur Lautsprache erlernt. Als sie 18 Jahre alt waren, gab es dort keinen Platz mehr für sie.
Christian, Sören und Erik kamen in unterschiedliche Heime. Erik kommt mit seinen wenigen Wörtern zurecht, doch für die anderen beiden wurde es schwierig, und zwar sehr schwierig. Das Ergebnis: überforderte Therapeuten, viele Tabletten und schwarze Pädagogik – da zog Familie Meier die Reißleine.
„Am schwierigsten ist es, zu akzeptieren, dass das Kind einen anderen Weg ins Leben geht als andere“, sagt Ulrike Meier. Jetzt sucht sie mit ihrem Mann diesen „anderen“, den passenden Weg für ihre Jungs, den Weg in ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben – und er soll nicht mehr durch vollstationäre Heime führen ohne entsprechend geeignete Angebote. Im Winter 2019 holten sie Sören und Christian aus den Heimen heraus. Sie probieren etwas Neues.
Die zwei Brüder leben jetzt von ihrem persönlichen Budget nach dem Bundesteilhabegesetz in einer ambulanten Wohngruppe. Michael Dohmen, Leiter der Janusz-Korczak-Förderschule in Heinsberg, der Familie Meier gut kennt, vermittelte den Kontakt nach Tripsrath und auch zur Lebenshilfe Heinsberg.
Ulrike Meier war gerade dabei, Fachkräfte zu organisieren, die die Brüder im Alltag begleiten – da kam Corona. Statt Fachkräften sind also Mama und Papa Meier Tag und Nacht bei Christian und Sören. Ihr Trost: Wären die Jungs noch im Heim, dürften sie sie aus Infektionsschutzgründen nicht einmal besuchen.
Die ehemalige Krankenschwester würde nicht sagen, dass ihre Söhne eine besonders schwere Form von Autismus haben. „Sie gehen nicht den Weg in die soziale Isolation. Sie versuchen, diese Welt zu verstehen. Dafür brauchen sie nur eine besondere Unterstützung. Stimmt’s?“ Die letzte Frage ist an ihren Sohn Christian gerichtet. Er nickt, weil er nicht spricht, aber viel versteht. Er hat inzwischen gelernt, über ein Tablet zu kommunizieren, aber seine Welt erklären kann er noch nicht. Julian Leske kann das. Er hat, wie viele Asperger-Autisten, eine besondere Begabung – aber statt mit Zahlen wie in „Rain Man“ kann er gut mit Worten umgehen. Wenn die Corona-Krise vorbei ist, wird er auf Einladung der Lebenshilfe Heinsberg im Haus Lennartz erzählen, wie es ist, ein Autist zu sein.en, aber seine Welt erklären kann er noch nicht. Julian Leske kann das. Er hat, wie viele Asperger-Autisten, eine besondere Begabung – aber statt mit Zahlen wie in „Rain Man“ kann er gut mit Worten umgehen. Wenn die Corona-Krise vorbei ist, wird er auf Einladung der Lebenshilfe Heinsberg im Haus Lennartz erzählen, wie es ist, ein Autist zu sein.
Autismus
Autismus tritt in verschiedenen Varianten auf, die unter dem Oberbegriff Autismus-Spektrums-Störung zusammengefasst werden. Autismus ist angeboren und gilt als nicht heilbar. Jedoch kann, je nach Variante, durch eine frühe Förderung vieles erlernt werden und ein selbstständiges Leben möglich sein.
Autisten haben in der Regel eine gestörte Wahrnehmung, soziale Interaktion und Kommunikation fällt ihnen schwer und sie zeigen oft ein sich immer wiederholendes Verhalten und eingeschränkte Interessen. Sie können oft die Bedeutung von Gestik, Mimik und Blicken anderer Personen nicht verstehen. www.autismus.de