Schichtwechsel 2024: 100.5 DAS HITRADIO. kocht mit uns
Deutschlandweit arbeiten Menschen im Herbst in Werkstätten für Menschen mit Behinderung mit und erhalten Einblicke in die vielfältigen, beruflichen Förder- und Bildungsangebote. Wir wollen zeigen, wie bunt und barrierearm berufliche Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben sein kann.
Die Radioredaktion von 100,5 DAS HITRADIO. besuchte einen Tag lang die Werkstätten der Lebenshilfe Heinsberg und schaute den Mitarbeitern mit Behinderung nicht nur bei deren Arbeit über die Schultern. In der Großküche der Lebenshilfe nahmen die Moderatorinnen und Moderatoren die Kochlöffel selber in die Hand und kochten gemeinsam mit dem Küchenteam über 1200 Portionen Erbsensuppe nach dem berühmten Hausrezept der Lebenshilfe. Jeder kann die Suppe probieren: Am kommenden Donnerstag, 10. Oktober zwischen 10-14 Uhr, verteilen die Köche vom Radio gemeinsam mit den Köchen der Lebenshilfe die Erbsensuppe auf dem Marktplatz in Heinsberg – kostenlos, solange der Vorrat reicht! Bäcker Dick spendet spontan die Brötchen zur Suppe, und weil das Wetter wohl nicht mitspielen wird, öffnet das Campus live am Markplatz kurzerhand die Türen, damit die Aktion im Trockenen stattfinden kann. Sogar Bürgermeister Kai Louis hat sich zum Mithelfen angemeldet und möchte die Aktion begleiten.
Die gemeinsame Koch-Aktion ist das Ergebnis des diesjährigen „Schichtwechsels“ der Lebenshilfe Heinsberg: Einmal im Jahr tauschen deutschlandweit Menschen ihren Arbeitsplatz mit Mitarbeitern in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Im vergangenen Jahr war die Musikband „Die Räuber“ zu Gast in den Lebenshilfe Werkstätten, in diesem Jahr hat das Team von 100,5 zugesagt. Während die Moderatoren ihre Suppe in Heinsberg kostenlos ausgeben, werden Mitarbeiter der Lebenshilfe Werkstätten im Radiostudio in Eupen die Moderation übernehmen. „Wir engagieren uns für Inklusion und Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung und möchten die Bevölkerung über die vielfältigen beruflichen Fördermöglichkeiten und Arbeitsangebote der Lebenshilfe Werkstätten informieren. Dabei wollen wir mit Vorurteilen und Klischees aufräumen und vor allem die Menschen zu Wort kommen lassen, um die es bei uns geht“, sagt Edgar Johnen, pädagogischer Vorstand der Lebenshilfe Heinsberg.
Über den Aktionstag
Die wenigsten Menschen haben jedoch eine Vorstellung von den Leistungen, die in den Werkstätten erbracht werden. Es existieren immer noch viele Klischees über Werkstätten und die dort arbeitenden Menschen mit Behinderungen.
Beim Aktionstag „Schichtwechsel“ soll damit aufgeräumt werden.
Schichtwechsel 2023: Die Räuber wechseln den Job
In der Lebenshilfe Heinsberg waren die Räuber zu Gast und schauten den Mitarbeitern mit Behinderung nicht nur über die Schulter, sondern packten alle kräftig mit an. Nach dem Mittagessen wechselten wir die Schicht und rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feierten ihre kölschen Superstars auf der Bühne in unserer Werkstatt.
Schicht 2: Thommy sucht die Stichsäge
Thommy Pieper liebt es, mit Holz zu arbeiten. „Ich hätte richtig Lust, mit der Stichsäge heute ein paar schöne Sachen zu schneiden.“ Als er dann in unserer Schreinerei ankam, war der Drummer baff: Statt Stichsägen fand er nämlich riesige Kreis- und Plattensägen, Kantenumleimer und große Computerterminals vor. Zunächst wurden lange Hölzer auf Maß geschnitten, und Thommy durfte gleich ran an die Ablängsäge. Schreinermeister Daniel Scheeren erklärte die richtigen Handgriffe und bescheinigte dem Praktikanten ein gutes Händchen fürs Holz. Dann wurden Paletten „geschossen“. Mit einem druckluftbetriebene Nagelautomaten werden die Paletten zusammengebaut. „Schreiner Christian erklärte mir die Arbeitsabläufe. Das war eine professionelle Einarbeitung in den Umgang mit der Druckluftpistole. Was für mich so besonders war? Christian hat das Down-Syndrom und mit seiner Professionalität habe ich echt nicht gerechnet.“ Nach einem arbeitsreichen Vormittag war Thommy ziemlich begeistert von seiner neuen Arbeit und diesem großartigen Schreiner-Team. Die speziellen Schreiner-Schuhe und die Schutzhose wollte er übrigens als Andenken mit nach Hause nehmen…die kann er gut gebrauchen, wenn er wieder seine Stichsäge auspackt.
Schicht 3: Zänder macht jetzt Zäune
Martin Zänder schaute in der manuellen Gruppe Elisabeth Merz, Vorsitzende des Werkstattrates (Selbstvertretung der insgesamt 1100 Mitarbeiter mit Behinderung der Lebenshilfe-Werkstätten) und ihren Kollegen über die Schulter. Zurzeit werden in der Gruppe Reparatursets für Weidedraht-Zäune produziert. Damit alle Mitarbeiter trotz körperlicher Beeinträchtigung mitarbeiten können, wurden im Vorrichtungsbau der Werkstätten barrierearme Arbeitsplätze entwickelt. „Hier wird eine sehr hochwertige Arbeit geleistet, die sich die Öffentlichkeit genauer anschauen sollte“, berichtet der Bassist…vor allem, weil die Arbeit nicht das Einzige sei, worauf es in der Werkstatt ankomme: „Ich hatte so viele schöne Gespräche und ich sehe, wie man sich Zeit nimmt für jeden Einzelnen. Hier wird gequatscht, gelacht, und wenn das Radio den richtigen Song spielt, dann wird auch gesungen.“ Als Familienvater beschäftigt sich Martin Zänder auch mit Inklusion an der Schule seiner Kinder. „Teilhabe und Miteinander sind wichtig und müssen gefördert werden. Aber noch wichtiger ist, dass Kinder mit Handicap genauso wie Erwachsene mit Behinderung eine gute Förderung und Begleitung erhalten. In den Werkstätten habe ich gesehen, was heute alles möglich ist!“
Schicht 4: Kurt steht hinter der Theke
Bandmitgründer und Pianist Kurt Feller freute sich auf seinen Einsatz im Café Lesbar. Er liebt es unter Leuten zu sein…und im Café war richtig was los. Die Mitarbeiter des Cafés hatten nicht sehr viel Zeit, alles in Ruhe zu erklären, denn schließlich warteten die Gäste auf ihre Bestellungen. Und als die ersten Gäste bemerkte, wer sie heute bediente, bestellten sie gleich noch nach… „Das macht Riesenspaß! Diese Café-Atmosphäre ist einmalig!“ schwärmte der Pianist. Er erinnert sich oft zurück an eines seiner ersten Konzerte Anfang der 1990er Jahre in einem Heim für ältere Menschen mit Behinderung. „Ich war mir nicht sicher, ob wir mit unserer Band da richtig waren. Aber dann sah ich, mit welcher Begeisterung ein Mann mit schwerer Behinderung in seinem Rollstuhl wippte und wie die Betreuer staunend danebenstanden und mir nach dem Auftritt erklärten, dass sie diese Reaktionen und Freunde gar nicht kannten und aufgrund der Schwere seiner Behinderung auch niemals von ihm erwartet hätten – da kommen mir heute noch die Tränen! Seitdem weiß ich, Musik kann so viel bewegen.“ Die Zeit im Café hat Kurt so gut gefallen, dass er später in Schürze und Servicehemd auf der Bühne stand…
Schicht 5: Sven nimmt ein Bällchen-Bad
Räuber-Sänger Sven West leistete seinen Zivildienst in der Lebenshilfe Grevenbroich, dort begleitete er Kinder mit schwerer Behinderung. Bewusst hatte er sich bei uns deshalb für den Einsatz im Förderbereich der Werkstätten gemeldet. Gruppenleiter und Heilerziehungspfleger Nico Giesen holte ihn mit einem der Mitarbeiter am Tourbus ab. Schon in der Kennenlernrunde spürte Sven, dass hier viel Einfühlungsvermögen gefragt ist. Ein Mitarbeiter verstand zum Beispiel nicht, warum da ein „Neuer“ mit am Tisch sitzt und wurde sehr unruhig. Freude und Ängste liegen manchmal nah beieinander. Wenn sich ein Mensch dann verbal nicht äußern kann, muss sein Betreuer ihn gut einschätzen und unterstützen können. Aufgrund seiner Erfahrungen in der Lebenshilfe erkannte Sven die Situation und sorgte sich um den Mitarbeiter, der vor Aufregung begann, um sich zu schlagen. „Hier kommen viele schöne Erinnerungen an eine intensive Zivildienst-Zeit wieder hoch“ sagt der Sänger, „und mir ist wieder so bewusst, wie unendlich wichtig die Arbeit der Lebenshilfe für all die Menschen ist, die eine gute und professionelle Begleitung benötigen. Ich würde mir wünschen, dass es den Schichtwechsel noch viel öfter gibt, damit die Menschen sehen und verstehen, wie wichtig Miteinander und Gemeinschaft sind.“ Nach seinem Auftritt auf der Hückelhovener Wiesn am Abend schickte uns Sven noch ein Grußvideo: „Alle für einen, einer für alle…und alle für die Lebenshilfe!“
(C) Fotos: Vielen Dank an Marcel Übachs – www.carmapix.de und Miriam Stelten – www.die-mimi.de
Mehr Infos über die deutschlandweite Aktion Schichtwechsel: